Lyrische Texte
Zu Natur und Menschsein und allem dazwischen
Auf dieser Seite finden Sie eine Sammlung von Texten, die ich zu Bildern oder Bildserien schreibe. Ich übersetze sie dazu ins Englische, habe hierbei jedoch keinen englischsprachigen Lyriker oder eine englischsprachige Lyrikerin an der Hand, daher kann ich für die Perfektion auf Englisch leider nicht garantieren.
Die Texte, die ich zu meinen bereits verkauften Bildern oder aktuell verfügbaren Bildern geschrieben habe, finden Sie beim jeweiligen Bild. Hier ist eine freie Auswahl an unterschiedlichen Texten, die ich teilweise auch nur auf Instagram veröffentlicht habe.

Vom Halten und Fallen
Die Vögel, die ich am Himmel fand waren ganz klein und schwarz Wie Ameisen voller Eleganz schwebten sie ins Gold ließen sich fallen Wie ich mich fallen ließ voll Vertrauen in Halt in den eigenen Auftrieb
Ich sah das Gold Rot werden und das Rot Grau Die eleganten Ameisen verschwunden Jeder Vogel ein Komma am Himmel die lautlos Sätze schreiben vom Halten und Fallen

Of Holding and Falling
The birds I found in the sky were small and black, like ants of quiet grace they drifted into gold, let themselves fall — as I let myself fall, full of trust in holding, in my own lift.
I watched the gold turn red and the red turn gray, the graceful ants vanished. Each bird a comma in the sky, silently weaving sentences of holding and falling.
Lose Gedanken im Winter
Flüchtig wie Wind und der Saum einer Wolke ist das Licht an diesem späten Tag Die Nacht blinzelt unbeeindruckt Gold und eisblasses Rot Nicht dass etwas sie hätte aufhalten können. Man weiß, dass es endet.
Stille gießt sich in die Böden und ich denk an die Nacktheit der Bäume im Winter. Stamm an Stamm, Halt an Halt, Hand in Hand.
Ich war der Atem in deinem Mund und du warst der Atem in meinem. Ich gab dir Ast für Ast von mir und du hast dich hineingeschnitzt.
Lautlose Worte, alte Geschichten das Messer ist stumpf
Wenn ich in den Spiegel blicke, blickst du zurück doch wenn ich das Licht lösche, lösch ich dich mit.

Loose winter thoughts
As fleeting as wind and the edge of a cloud is the light on this late day The night blinks unimpressed gold and ice-pale red Not that anything could have stopped it. You know it will end.
Silence pours into the ground and I think of the nakedness of the trees in winter. Trunk to trunk, hold to hold, hand in hand.
I was the breath in your mouth and you were the breath in mine. I gave you branch after branch and you carved yourself into me.
Silent words, old stories the knife is blunt
When I look in the mirror, you look back but when I switch off the light I extinguish you, too.
Nicht bereit.
Man ist noch nicht bereit für einen neuen Namen. Einen neuen Puls zwischen den Kissen. Für Freude beim Wiedersehen oder das Bedauern über ein Ausbleiben derselbigen.
Nicht bereit zu zeigen, wo der Tee zu finden ist, das Brot, die Eier.
Nicht bereit für ein Herantasten und Testen um sich vielleicht bald an dieses neue Gesicht zu gewöhnen. Es im Dunkeln zu finden und zu suchen und zu sehen, hinter geschlossenen Lidern. Überhaupt das neue Lachen oder Lächeln. Die stille Verwunderung. Die Angst vor all dem. Lernen ein neues Gesicht zu lesen.
Noch nicht bereit für andere Fasern an anderen Pullovern und andere Stellen, an denen man lieber nicht berühren soll oder gerade dort. Nicht den Nabel, dafür den Nacken.
Nicht bereit für das Spiel von Muskeln und Sehen und Haut auf Haut.
Nicht bereit nachts auf ein Atmen zu lauschen und anderen Schweiß zu riechen, den man liebt. Nicht bereit für die unendliche Kaskade der ersten Male. Schlafen gehen, aufwachen, frühstücken, ich liebe dich.
Nicht bereit, etwas Neues zu suchen oder zu finden und dann zu verlieren.
Nicht bereit.

Not ready
One is not yet ready for a new name. A new pulse between the pillows. For the joy in reunion or the regret over its absence.
Not ready to show, once again, where to find the tea, the bread, the eggs.
Not ready to approach, to test, to perhaps grow accustomed to this new face. To find it in the dark, to seek it, to see it behind closed lids. The new laughter, the unfamiliar smile. The quiet wonder. The fear of it all. Learning to read a new face.
Not yet ready for different fibers on different sweaters and for those places one shouldn’t touch—or should, exactly there. Not the navel, but the nape.
Not ready for the play of muscles and sinews, skin on skin.
Not ready to listen for breaths in the night and to inhale another’s sweat, a sweat loved. Not ready for the endless cascade of firsts. Going to bed, waking up, breakfasting, I love you.
Not ready to seek or find something new, only to lose it again.
Not ready.
Über die Schönheit
Von Blättern tropfendes Licht Kristalle von Nadeln gehalten Auf warmem Parkett liegen in einem Sonnenfleck Brechender Boden bei Frost sonst nichts als Stille Ein Wesen, das man liebt Ein Wesen, von dem man geliebt wird Riechen Seife ein frisches Bett Marzipan eine Kerze Staubballett am Morgen bei offenem Fenster An den Kanten geschnittene Wolken
Dein Rücken, der sich biegt Mein Rücken, der sich biegt Wir könnten Weiden sein.

On Beauty Light dripping from leaves Crystals cradled by needles Resting on warm parquet in a sunlight patch Earth breaking in frost and nothing but silence A creature one loves A creature that loves in return Scent Soap fresh linen marzipan a candle Dust dances The window open to the morning Clouds carved at their edges
Your back bends My back bends We could be willows
November macht etwas mit mir
Etwas Altes will wieder nach oben, wacht auf unter den novembergelüftet Schichten, dem Brennglas der kurzen Tage.
Ich bin ein Knäuel aus Mensch mit einem Laken zwischen den Beinen und nach innen geöffneten Augen.
Ich bin das Gewicht deines Körpers, der mir all die Schwere genommen hat und ich bin die Schwere selbst.
Ich bin eine Hand, die nicht mehr da ist und die unvorhergesehene Abwesenheit einer Stimme.
Blaugraues Licht morgens und rotgraues Licht abends und dazwischen eine raureife Nacht.
Wie es vorher war. Wie es danach war. Wie es jetzt ist.
Ein pochendes Herz in einem pochenden Körper.
Aus dem Tag geschälte Stämme in mentholgrünem Wald.
November macht etwas mit mir.

November does something to me
Something old wants to rise again, awakening beneath the layers breathed by November, under the lense of brief days.
I am a tangle of human, a sheet twisted between my legs, open eyes turned inward.
I am the weight of your body, which took all heaviness from me, and I am the heaviness itself.
I am a hand that is no longer there and the unforeseen absence of a voice.
Blue-gray light in the morning, red-gray light in the evening, and in between, a raw night.
How it was before. How it was after. How it is now.
A throbbing heart in a throbbing body.
Trunks peeled from the day in a menthol-green forest.
November does something to me.
Vom Weitermachen
Das ganze Leben ist Verlust. Ich betrachte Videos meiner 9-jährigen Nichte, wie sie lacht und im Zimmer herumwirbelt, mit meiner Schwester, ihrer Mutter, scherzt und denke, noch ist alles gut. Irgendwann wirst auch du unvermeidlich Verlust erleben müssen. Die erste Liebe, Freunde, deine Eltern (meine geliebte Schwester), Tiere, vielleicht einen Job oder ein Haus oder wie ich einmal für kurze Zeit meinen Verstand.
Das ganze Leben ist Verlust und Wiedergewinnung und Fülle und Leere und manchmal alles gleichzeitig. Ich kann nichts tun, um meine Nichte davor zu beschützen, sich selbst in Schmerz auf dem Boden zu wiegen und dabei zu denken, es keinen Moment länger zu ertragen. Wegen einem toten Hund oder einem verlorenen Mann. Und siw wird es doch ertragen, wie es die meisten von uns tun. Aufstehen und es ertragen. Das ist das, was Leben ausmacht. Fülle und Verlust und die unbändige Kraft finden, immer weiterzumachen.

About Keep going
All of life is loss. I watch videos of my 9-year-old niece, laughing and spinning around the room, joking with my sister, her mother, and I think, for now, everything is fine. But one day, you too will inevitably face loss. First love, friends, your parents (my beloved sister), pets, maybe a job or a home, or like me, for a brief time, your mind.
Life is all loss and recovery, fullness and emptiness, and sometimes all of it at once. There is nothing I can do to protect my niece from one day rocking herself on the floor in sorrow, thinking she cannot bear it a moment longer. Over a dead dog or a lost man. And yet, she will bear it, as most of us do. She will rise and bear it. That is what life is. Fullness and loss and finding the untamable strength to keep going.
Ulrike Pichl
@ulrikesabinechrista
Ich erkunde mit meinen Fotografien die Grenzbereiche zwischen Sichtbarem, Assoziation und Innenleben.
Unterschiedliche Lichtstimmungen lassen eine Atmosphäre von Poesie und Melancholie entstehen. Der Wechsel von Schärfe und Unschärfe intensiviert die Farbwahrnehmung und macht das Besondere und dabei immer Momenthafte einzelner Augenblicke in der Natur sichtbar.
Ulrike Pichl | @ulrikesabinechrista | mail@ulrikesabinechrista.de